Warum fasten wir eigentlich?

Einkehr, Umkehr, Besinnung. Eine Zeitlang auf Gewohntes zu verzichten ist mehr als eine alte Tradition.
Marlene Pfau

Seit Jesu Tod erinnern sich Christen in den Wochen vor Karfreitag an das Leiden und Sterben Jesu Christi und bereiten sich auf Ostern vor, auf die Botschaft von der Auferstehung. Die sogenannte Fasten- oder Passionszeit beginnt mit dem Aschermittwoch und endet am Karsamstag. Kalendarisch dauert die Passionszeit allerdings länger als 40 Tage, weil man die Sonntage als Feiertage vom Fasten und Büßen ausgenommen hat.

Den Himmel milde stimmen

Früher war das ganze Kirchenjahr durchgetaktet nach Tagen und Wochen des Fastens und es gab genaue Speisevorschriften für diese Zeiten. Etwa im Mittelalter waren gutes Essen und Musik, der Spaß an Spiel, Tanz und am Feiern nur erlaubt nach Fristen und Geboten.

So ging es mehr und mehr darum, beim Fasten nur nichts falsch zu machen. Und andersherum betrachtet: mit regelmäßiger Askese Gott zu gefallen – oder dem Papst, dem Pfarrer oder auch dem Nachbarn. Enthaltsamkeit schien ein probates Mittel, den Himmel milde zu stimmen. 

Mit der Reformation wurden diese strengen Regeln infrage gestellt. Martin Luther lehnte die Vorstellung ab, dass Verzicht und Askese als gute Werke vor der Hölle bewahren. Gefastet hat er wohl, doch nicht als religiöse Pflicht. Er empfiehlt das Fasten "als eine feine äußerliche Zucht" - aber eben nicht als Weg zum Heil.

Wer in der Fastenzeit auf etwas verzichtet, darf daher nach protestantischem Verständnis selbst entscheiden, was ihm gut tut. Heute knüpft kaum mehr jemand sein Seelenheil an den Verzicht auf Fleisch oder andere Genüsse in der Fastenzeit. Eher gilt sie als Zeit der Einkehr, der Umkehr und Besinnung.

Und da er vierzig Tage und vierzig Nächte gefastet hatte, hungerte ihn (Mt 4,2)

Damit erinnern christliche Fastentraditionen an die vierzig Tage und Nächte, die Jesus nach seiner Taufe in der Wüste verbrachte und fastete. Im Alten Testament begegnen Menschen mit Fasten den Übergängen zwischen unterschiedlichen Phasen und Sphären.

In der Sphäre zwischen Leben und Tod, beim Trauern oder in Lebensgefahr wurde gefastet – vornehmlich in Sack und Asche. Aber auch zu Gerichtsprozessen, an der Grenze von Recht und Unrecht, enthielt man sich der gewohnten Speisen. Und wer sich an Gott wenden will, bereitet sich mitunter in einer Fastenzeit darauf vor.

In diesem Sinne bedeutet Fasten, Gott gegenüber eine fragende Haltung einzunehmen und zu hören, was er zu sagen hat. Im Verzicht der Fastenzeit lebt die Erinnerung daran, dass wir es nicht immer allein und selber am besten wissen, was gut für uns ist.

Probehalber etwas anders zu machen – auch wenn es schwer fällt – kann die Entdeckung mit sich bringen, dass es anders besser sein könnte. Eine Weile das zu vermeiden, womit wir sonst viel Zeit verbringen und uns besonders im Wege stehen, das setzt Kräfte frei.

 

Die andere Skizze von mir

So kann das Fasten ein jährlicher kleiner Entwurf sein: Was wäre wenn? Was wäre, wenn ich nicht jeden Abend auf dem Sofa zu bewegten Bildern einschlafen würde? Wenn ich jeden Tag eine neue Begegnung wagen würde, wenn ich vorwärts schauen würde, statt zurück? Die Skizze eines anderen Alltags, der Blick in eine andere Richtung, eine Perspektivverschiebung.

Auch heute verlassen wir in der Fastenzeit die bekannten Pfade, wir machen vielleicht einen Bogen um den Kühlschrank, meiden den Zigarettenautomaten oder gehen überhaupt mal wieder zu Fuß. Wir entziehen uns Kalorien, Konsum oder Komfort. Wir brechen mit Gewohnheiten, selbstverständlichen Gesten des Alltags, machen etwas anders als sonst und bringen damit, leise und ohne ruckartige Bewegungen, gewohnte Ordnungen durcheinander.

Vielleicht läuft alles nicht mehr ganz so rund und vorhersehbar wie sonst. Vielleicht stolpert man auf einmal im gewohnten Takt. Der Tagesablauf verschiebt sich, Zeit ist da, wo Hetze war. Ruhig und wach hören wir uns selber wieder – und Gott. Diese Zeit im Kirchenjahr lebt auf Veränderung und Erneuerung hin.

Weiter Horizont

Manchmal ist es nur ein kleiner Schritt zur Seite und es zeigt sich auf einmal etwas anderes, Unerwartetes, lange Übersehenes. Wenn das gelingt, dann lassen wir bekanntes und umrissenes Gelände hinter uns und fasten auf einen ständig weiter werdenden Horizont hin. Dann finden wir danach den Weg in die Gewohnheit vielleicht gar nicht wieder zurück – und gehen einen neuen. Dann leuchtet vom Ende der Fastenzeit her Ostern auf, die Auferstehung, das Leben nach dem Tod.

„7 Wochen Ohne“ heißt die Fastenaktion der evangelischen Kirche und der Name ist Programm. Hier geht es nicht darum, was man weglässt in den Tagen vor Ostern, es geht ums „Ohne“.

Wir laden Sie ein, sieben Wochen auf etwas zu verzichten und damit in dieser Zeit etwas freizulegen und in Bewegung zu bringen. Dafür soll Raum sein. Gestalten Sie Ihr Leben „7 Wochen Ohne“ und entdecken Sie die Fülle. Der Verzicht macht Appetit – auf das Leben.

Kathrin Althans