Fastenmail 2024, Woche 7 „Mit Gott“
Wohin könnte ich gehen vor deinem Geist, wohin fliehen vor deiner Gegenwart? Würde ich in den Himmel steigen: Du bist dort. Würde ich mich in der Unterwelt verstecken: Dort bist du auch. Würde ich hochfliegen, wo das Morgenrot leuchtet, mich niederlassen, wo die Sonne im Meer versinkt: Selbst dort nimmst du mich an die Hand und legst deinen starken Arm um mich.
Da sagte ich: »Finsternis komme über mich! Nacht soll mich umhüllen wie sonst das Licht!« Doch für dich ist die Finsternis nicht finster, und die Nacht leuchtet so hell wie der Tag: Finsternis ist für dich wie das Licht.
Psalm 139,7‒12 Basisbibel
Liebe Zusammengehörige, wo auch immer Sie sind,
unsere gemeinsame Zeit geht langsam zu Ende. „Komm rüber! Sieben Wochen ohne Alleingänge“ lautete der Ruf in diesem Jahr, und ich habe tatsächlich selten so viel Gemeinschaft durch die Fastenzeit erlebt, wie in diesem Jahr. Vielleicht lag es daran, dass Sie mir so viele Antworten geschickt haben auf meine Fastenmails. Vielleicht lag es auch am Online-Bibliolog, der jede Woche neu Gemeinschaft entstehen lässt. In jedem Fall bin ich dankbar für die gemeinsame Zeit.
Zum Schluss – und vielleicht zum Höhepunkt? – unseres gemeinsamen Weges geht es um das Gehen mit Gott. Oder sollte ich eher sagen, es geht darum, dass es nicht ohne Gott geht? Die biblische Grundlage in dieser Woche sind Verse aus Psalm 139. Die Psalmen der Bibel sind ausgesprochen innige Gebete. Sie reden mit Gott auf sehr direkte Art. Mal sind sie intensiv flehend und verzweifelt rufend, mal himmelhochjauchzend, und immer sind sie von einer sehr nahen, ja intimen Beziehung zwischen Gott und der Person geprägt, die da spricht. Ich nenne diese Haltung, die sich Gott in jeder Situation zuwenden will, Frömmigkeit. Oft wird in den Psalmen die Ferne Gottes beklagt. Das gehört zur Frömmigkeit dazu: Wer eine Beziehung mit Gott will, wird darum ringen und mit Gott streiten, wenn es sein muss. Psalm 139 zeigt die andere Seite der Frömmigkeit: das Staunen über die Nähe Gottes.
Die Person, die diesen Psalm betet, beschreibt, wie sehr sie sich von Gott umgeben und erkannt fühlt. Dabei bleibt offen, ob ihr das angenehm ist oder nicht. Fühlt sie sich eher geborgen oder doch bedrängt? Gerade „unsere“ Verse lassen beide Deutungen zu: Wohin sie auch geht, überall ist Gott bereits gegenwärtig. Es gibt keinen Ort auf der Erde, im Meer oder am Himmel, an dem Gott nicht präsent wäre, um die betende Person zu erwarten und zu halten. Willkommen in einem Weltbild, das nicht ohne Gott denken kann! Gott „begleitet“ die betende Person nicht, er ist bereits überall da, wo sie hinkommt. Ein Sein ohne Gott ist nicht möglich, weil Gott das Sein ist. Sogar das Nichtsein ist für Gott Sein, oder in den Worten des Psalms: „Finsternis ist für dich wie das Licht.“
Ist Ihnen das zu philosophisch? Dann hilft Ihnen vielleicht Star Wars weiter: Gott ist in diesem Psalm ein wenig wie die „Macht“: Sie wirkt in allem. Alles, was ist, wird durch sie zusammengehalten. Oder, wenn Sie es lieber klassisch haben, denken Sie an die Frage von Faust: Der Gott, der in Psalm 139 angebetet wird, ist das, was „die Welt im Innersten zusammenhält“. Gottes Anwesenheit erstreckt sich in Psalm 139 sogar auf die Unterwelt, und das ist bemerkenswert. Im Weltbild der Bibel ordnet Gott das Chaos und hält es in Schach. Die Welt ist von Gott gut geordnet und Gott passt darauf auf, dass es so bleibt und nicht das Chaos über sie hereinbricht. Die Unterwelt ist eigentlich nicht Gottes Domäne. Doch die Person, die hier betet, ist sich sicher: Selbst dort, wo das Chaos regiert, ist Gott anwesend. Diese Aussage liebe ich besonders an diesem Psalm: Selbst dort, wo man Gott nicht wahrnimmt, weil Chaos herrscht, ist Gott anwesend. Selbst da, wo die Herrschaft offensichtlich von ganz anderen ausgeübt wird, lässt sich Gott selbst nicht verdrängen. Das ist auch eine sehr österliche Vorstellung: Unser Gott scheut sich nicht davor, dahin zu gehen, wo es wehtut. Und niemand und nichts kann so mächtig sein, dass Gott keinen Platz mehr hätte. Selbst das Nichts kann nicht ohne Gott sein. Wohlgemerkt: Die reine Anwesenheit Gottes im Chaos bedeutet nicht, dass nichts Böses oder Chaotisches mehr mächtig werden kann. Aber Gott ist da. Für einen Menschen, der die Beziehung zu Gott sucht, ist das ein Versprechen und ein Trost.
Wenn Gott überall ist, dann ist auch alles durch Gott verbunden. Sie mit mir und untereinander, wir mit denen da drüben, gemeinsam alle mit der Schöpfung. Die Mächtigen sind mit den Unterdrückten verbunden, die Lebenden mit den Toten. Darum ist dieser Wochentext tatsächlich der Höhepunkt der „7 Wochen Ohne“ 2024, denn er sagt: Es gibt eine Verbindung zwischen allem und darum auch immer einen Weg vom einen zum anderen. Wenn wir das akzeptieren, haben wir keine Ausreden mehr, nicht „rüberzukommen“. Drüben ist anders, aber es ist mit dem Hier verbunden. Alleingänge sind im Grunde genommen nicht möglich. In einer Zeit, in der ständig davon die Rede ist, wie gespalten doch alles ist, können wir sagen: Die Spaltungen sind da und schmerzen, aber keine von ihnen ist unüberwindbar.
Wochenaufgabe: Beten Sie! Wenn Sie nicht wissen, wie Sie das tun sollen, nehmen Sie sich eine Bibel und schlagen Sie einen Psalm auf. Die stehen ziemlich genau in der Mitte. Lesen Sie den Psalm laut, oder bewegen Sie mindestens Ihre Lippen beim Lesen. Machen Sie dann die Bibel zu und sprechen Sie den Psalm noch einmal. Sagen Sie einfach, was Sie noch im Kopf haben und dichten Sie dazu, was Sie noch sagen möchten.
Zusatzaufgabe für alle, die ohnehin regelmäßig beten: Machen Sie die Aufgabe mit dem Psalm trotzdem!
Nun folgen noch zwei Ankündigungen. Zunächst, unsere KollegInnen von epd Film feiern dieses Jahr das 40-jährige Jubiläum der Zeitschrift. Deshalb machen sie Ihnen zum Abschluss der Fastenaktion ein Geschenk. Sie können zwei Hefte gratis lesen! Dafür klicken Sie einfach hier!
Zweitens, unser letzter Online-Bibliolog findet am Karsamstag statt, also am 30. März um 16 Uhr. Der Link ist wieder: https://us02web.zoom.us/j/81456935565. Wir freuen uns auf Sie.
Nun sage ich: Auf Wiedersehen! Verbunden bleiben wir ja ohnehin.
Ihr Frank Muchlinsky